Es ist unsere Pflicht, optimistisch zu sein. Nur von solch einem Standpunkt aus können wir aktiv sein und tun, was in unseren Möglichkeiten liegt. – Karl Popper
Liebe Genossinnen und Genossen,
liebe Freundinnen und Freunde,
“Krisenmodus” ist zum Wort des Jahres gewählt worden. Jede/r kann das nachvollziehen, ich brauche hier keine Aufzählung beginnen. Gleichzeitig hat uns Bundeskanzler Olaf Scholz aufgerufen, in die Zukunft verliebt zu sein. Der Hamburger Kultursenator Carsten Brosda hat dazu ein Buch geschrieben: „Mehr Zuversicht wagen“. Wenn wir den Satz von Karl Popper, mit dem ich diesen Jahresschlussbrief überschrieben habe, für wahr halten, sehen wir, wie recht sie haben. Wir können uns auch an Willy Brandt erinnern: „Eine Sozialdemokratie ohne Hoffnung ist wie eine Kirche ohne Glauben“, hat er einmal gesagt. Woher kommt Hoffnung?
Dafür haben Menschen unterschiedliche Wege. Hoffnung wächst mit Vertrauen in die eigenen Möglichkeiten, mit Vertrauen in andere, mit einem Grundvertrauen in die Entwicklung der Welt. Das sind gleichzeitig drei große Baustellen unserer Zeit. Selbst bei den unter Fünfzehnjährigen belegen die Deutschen den letzten Platz unter den OECD-Ländern: Nur jede/r Vierte glaubt, etwas gegen die Probleme in der Welt tun zu können. Das sagt auch eine der letzten Pisa-Studien. Andere wollen gleich die Probleme der ganzen Welt lösen, scheitern und übersehen, dass vieles schon zu lösen wäre, wenn viele mehr von dem, was in ihren Möglichkeiten, in ihrem unmittelbaren Umfeld liegt, tun würden.
Zuversicht kann sich speisen aus den Erfolgen der Vergangenheit. Denn da haben wir wirklich viele gute Gründe, auch wenn wir gleichzeitig sehen, was wir in der Vergangenheit versäumt haben. Zuversicht kann auch entstehen, wenn wir sehen, was wir haben und nicht nur was fehlt. Dieser Blick ist uns persönlich häufig verstellt und mir scheint es, das trifft auch auf unser ganzes Land zu. Die verbreitete Wut im Land hat jedoch auch ganz reale Grundlagen. Nur zwei Beispiele: Mehr als die Hälfte der deutschen Arbeitnehmer/innen hat heute eine geringere Kaufkraft als noch vor 15 Jahren – und zwar ausgerechnet die Hälfte mit den niedrigsten Löhnen. Ob wir den Klimawandel noch begrenzen können oder längst die berüchtigten Kipp-Punkte erreicht haben, wer weiß das sicher zu sagen?
Andererseits: Wir konnten nicht sicher sagen, ob wir gut über den letzten Winter kommen oder die Energie ausgeht. Ist sie nicht. Es ist kein Selbstläufer, dass die Inflation wieder sinkt. Es ist nicht trivial, in einer Welt, die so in Unordnung geraten ist, eine neue Ordnung zu entwickeln, aber genau daran wird gearbeitet.
In der Regierung arbeiten wir Stück für Stück Dinge ab, für die wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten lange gekämpft haben. Allein in diesem Jahr unter anderem:
- Wir haben die Ausbildungsgarantie Endlich ein Rechtsanspruch, damit nicht jedes Jahr zehntausende Schulabbrecher/innen bis zum Alter von 25 Jahren im System einfach verloren gehen.
- Durch das Weiterbildungsgesetz wird nun eine Lohnersatzleistung gezahlt, die so hoch ist wie das Kurzarbeitergeld.
- Mit dem Bürgergeld haben wir Hartz IV hinter uns gelassen. Wir haben dabei darauf geachtet, dass diejenigen, die arbeiten, immer mehr haben als diejenigen, die nicht arbeiten. Vor allem geht es immer zuerst um bessere Unterstützung, auf eigene Füße zu kommen.
- Zum 1. Januar 2023 haben wir das Kindergeld auf 250 Euro pro Kind angehoben. Auch der einkommensabhängige Kinderzuschlag ist für Familien mit geringem Einkommen auf bis zu 250 Euro monatlich angestiegen.
- Die Renten sind zum 1. Juli 2023 um 4,39 Prozent im Westen und um 5,86 Prozent im Osten gestiegen. Durch die kräftigen Rentenerhöhungen 2022 und 2023 wird die Rentenangleichung Ost ein Jahr früher erreicht als geplant – damit gilt nun ein gleicher Rentenwert in Ost und West. Nach über 30 Jahren!
- Von der größten Wohngeldreform profitieren rund 4,5 Millionen Menschen in zwei Millionen Haushalten, darunter viele Alleinerziehende, Arbeitnehmer/innen mit geringem Einkommen, Rentner/innen, aber auch Bewohner/innen von Alten- und Pflegeheimen.
- Mit der beschlossenen Pflegegeldreform erhöhen wir zum 1. Januar 2024 Pflegegeld und Pflegesachleistungen. Wer Angehörige pflegt, kann künftig jährlich für bis zu zehn Arbeitstage je pflegebedürftiger Person das Pflegeunterstützungsgeld in Anspruch nehmen.
- Durch die Reform des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes eröffnen wir wesentlich mehr Möglichkeiten, in Deutschland zu arbeiten, und zwar nicht nur für Hochqualifizierte, denn wir brauchen an allen Ecken und Enden zusätzliche helfende Hände.
- Seit Anfang Mai gibt es das Deutschlandticket. Für 49 Euro im Monat können Busse und Bahnen im gesamten Nah- und Regionalverkehr in Deutschland genutzt werden.
Die Bertelsmann Stiftung hat der SPD-geführten Bundesregierung zur Halbzeitbilanz bescheinigt, sehr viel besser als ihr Ruf zu sein, wenn man als Maßstab nimmt, was wir uns im Koalitionsvertrag vorgenommen haben. Das entbindet uns freilich nicht davon, auch an unserem Ruf zu arbeiten. Dazu gehört aber auch, klar zu machen, dass wir in schwierigen Zeiten leben und es sehr unterschiedliche Interessen und Sichtweisen im Lande gibt, die erst einmal in Mehrheiten überführt werden müssen. Das geht, wie es sich für eine Demokratie gehört, nicht ohne Kompromisse. Und meistens sind sie dann ganz gut, wenn alle etwas daran zu kritisieren haben. Je klarer die Ziele sind und wohin unser Land steuern soll, umso besser wird es gehen.
Darum geht es mir um mehr als Zuversicht. Wer kennt den Prinzen Tamino aus der Zauberflöte? Ihm stehen schwere Prüfungen bevor. Feuer, Wasser, Naturgewalten. Es donnert und grollt um ihn herum und seltsame Wesen kreuzen seinen Weg. Hat er diese Zuversicht? Nein, er hat mehr. Er erhält ein Geschenk von den drei Damen und dann singt er seine Arie: Dies Bildnis ist bezaubernd schön. Und bricht auf. Denn er hat Hoffnung. Hoffnung auf eine schöne Prinzessin, zu der er gelangen will. Ein Bild vor Augen und das Vertrauen darauf, es zu erreichen.
Hoffnung kommt aus positiven Zukunftsbildern oder Zukunftserzählungen. Sie motivieren. Sie einen. Sie lassen kleiner werden, was im Alltag drückt oder auch nur behauptet wird. Sie geben uns Richtung und Sinn.
Im neuen Jahr will ich an solchen Bildern und Erzählungen arbeiten. Herzliche Einladung, daran mitzuwirken. Denn der Optimismus, von dem Karl Popper schreibt, ist kein Optimismus des “Es wird schon werden”, es ist ein Optimismus der Tat.
Vielen Dank allen, die in diesem Bewusstsein, gerade jetzt wieder im Vorfeld der Kommunalwahl und an vielen unterschiedlichen Orten im Land mit anpacken.
Wie es Heike Springhart ausgedrückt hat, die ich im Oktober in Dielheim getroffen habe: Auch 2024 bleiben wir “hoffnungsstur”.
Ihr/Euer
Lars