Liebe Genossinnen und Genossen,
liebe Freundinnen und Freunde,
vor gut einem Jahr hat mich jemand auf der Straße angesprochen und gesagt: “Herr Castellucci, ich hoffe, die Pandemie ist bald vorbei!” “Ja”, habe ich geantwortet, “das hoffe ich auch. Aber was kommt dann?” Mit einem brutalen Angriffskrieg mitten in Europa hatte ich damals natürlich nicht gerechnet. Wer hätte das schon, auch wenn im Nachhinein klar ist, dass wir viele Zeichen übersehen haben oder vielleicht auch übersehen wollten.
Aber dass es ziemlich sicher nicht einfach ruhig werden würde und wir uns genau darauf einstellen müssen, dass immer etwas passieren kann und wird, das wollte ich mit meiner Antwort schon deutlich machen. Genau genommen halte ich das für eine Hauptaufgabe von Politik. Neudeutsch sagt man dazu “Resilienz”. Es meint, die Menschen stark zu machen, widerstandsfähig in den Herausforderungen unserer Zeit.
Wie gelingt uns das? Zu allererst steht da das “You‘ll never walk alone” unseres Bundeskanzlers. Die Menschen müssen spüren, dass sie, alle, im Blick der Politik sind. Dafür stehen die Entlastungspakete. Das war aber vor allem auch der zentrale Inhalt unseres Wahlkampfs: SPD heißt Soziale Politik für Dich. Also Bürgergeld statt Hartz IV, Mindestlohn auf 12 Euro, Wohngeld- und BAföG-Reform, stabile Renten. Das haben wir versprochen und im ersten Jahr der neuen Regierung auch geliefert.
Entscheidend ist aber der Zusammenhalt. Natürlich hat jeder Mensch zunächst einmal seine eigene Verantwortung für sich selbst. Doch gemeinsam sind wir stärker. Das ist überhaupt keine neue Erkenntnis – und dennoch habe ich das Gefühl, dass wir daran immer wieder aufs Neue erinnern müssen. Und gegenhalten, wo immer einzelne Gruppen in der Gesellschaft abgewertet oder angefeindet werden. Je stärker der gesellschaftliche Zusammenhalt, desto besser kommen wir in Krisen zurecht.
Was ich mir von unserer Regierung noch wünsche, ist eine Einladung, gemeinsam an Zukunftsentwürfen zu arbeiten, wohin sich unser Land entwickeln soll. Es ist viel von “Transformation”, also Veränderung, die Rede. Doch Veränderung wohin? Viele haben den Eindruck, die Veränderung sei uns aufgezwungen: vom russischen Präsidenten, durch den Klimawandel oder die Alterung unserer Gesellschaft. Weil irgendetwas so oder so ist, braucht es dies und das. Doch das verstellt den Blick darauf, dass wir die Veränderung ja gestalten und ihr eine Richtung geben können. Mit Menschen, die vor Ort mit anpacken, mit neuen Partnern in der Welt.
Manchmal habe ich den Eindruck, in einem älter werdenden Land wird es schwieriger, Optimismus zu verbreiten. Doch warum eigentlich? Gerade die Älteren haben die Erfahrungen ja gemacht, wie sich Böses zu Gutem wenden, wie ein Land wieder aufgebaut werden kann. Nicht von selbst, sondern indem viele mit anpacken. Darauf wollen wir uns besinnen.
Man kann das auch so übersetzen: Wir brauchen Vertrauen in uns selbst, Vertrauen in unsere Mitmenschen und ein gewisses Vertrauen in die Welt. Das macht uns stark, was auch immer kommen möge. Und das wünsche ich Ihnen und uns allen.
Gemeinsam können wir viel erreichen.
Frohe Festtage und alles Gute für 2023!