Liebe Genossinnen und Genossen,

liebe Freundinnen und Freunde,

auf meiner Homepage steht angelehnt an Karl Popper: “Wir brauchen wieder den Glauben an eine bessere Zukunft, denn nur so können wir erreichen, was in unseren Möglichkeiten liegt.” Popper sprach sogar von “der Pflicht, optimistisch zu sein”. Beim Kirchenempfang der bayerischen SPD-Landtagsfraktion in München habe ich dazu bekannt, dass ich manches Mal den Eindruck hätte, in einem älter werdenden Land werde es schwieriger, Optimismus zu verbreiten. “Doch warum eigentlich?”, habe ich dann gefragt: “Gerade die Älteren haben die Erfahrungen ja gemacht, wie sich Böses zu Gutem wenden, wie ein Land wieder aufgebaut werden kann. Nicht von selbst, sondern indem viele mit anpacken. Darauf wollen wir uns besinnen.”

Der Bundeskanzler hat in seiner gestrigen Regierungserklärung ganz ähnlich argumentiert: Wir brauchen Zuversicht und wir haben Grund zur Zuversicht. Sie speist sich nach seinen Worten aus der Erfahrung, was wir in der Vergangenheit schon alles geschafft haben, auch in der jüngsten. Zum Beispiel kommen wir gut über den Winter, was die Energieversorgung angeht – nicht von selbst, sondern weil klug und abgestimmt gehandelt wurde. Die Gasspeicher sind voll und die Preise sinken. Darüber freuen wir uns wahrscheinlich nicht so lange, wie wir uns vorher Sorgen gemacht haben, so ähnlich wie wir uns über den neuerlichen Schnupfen mehr ärgern, als an gesunden Tagen dankbar zu sein. Die Regierungserklärungen sind deshalb auch immer ein Moment des Innehaltens, um sich die aktuelle Situation zu vergegenwärtigen und Zwischenbilanz zu ziehen. Die Regierungserklärung des Bundeskanzlers kann hier angeschaut werden.

Dabei, wie kann es anders sein, müssen auch die Herausforderungen zur Sprache kommen. Eine davon bleibt die Migration. Dazu habe ich später ebenfalls im Plenum gesprochen. Meine Rede kann hier angeschaut werden. Am Sonntag fliege ich mit einer Delegation des Innenausschusses nach Kanada. Dort treffen wir auch mit Nancy Faeser und Hubertus Heil zusammen. Wie regeln sie in Kanada die Einwanderung? Wie organisieren sie (viel besser als wir) die Integration? Wie schafft man in einem Land, aus dem außer den indigenen Völkern, die zudem fast ausgelöscht wurden, niemand ursprünglich kommt, ein Wir-Gefühl als “Kanadier”? Und was lernen wir für uns daraus? Das sind die Fragen, die ich im Gepäck habe. Aufschlussreich war schon das Briefing durch die kanadische Botschaft. Sie berichtete, dass in Kanada überlegt werde, wie man es noch besser schaffen könne, dass wirklich alle Provinzen des Landes gleichermaßen von Migration profitieren. Und wie sie für immer bessere und vor allem schnellere und unkomplizierte Verfahren sorgen, weil die Fachkräfte, die sie brauchen, sonst schnell in ein anderes Land gehen, wenn man nicht auf Zack ist. Was für ein Unterschied zu den leidigen Diskussionen bei uns, die immer noch sehr von Abwehr, “die” und “wir” und allen möglichen Vorbehalten geprägt ist.

Natürlich ist das Zusammenleben immer auch eine Herausforderung, ich bin weit davon entfernt, irgendetwas romantisieren zu wollen. Nicht zuletzt habe ich die Erfahrung, selbst aus einer Familie mit Migrationshintergrund zu stammen. Wenn nun Menschen aus noch entlegeneren Weltregionen zu uns kommen (müssen), weil wir den ebenfalls alternden europäischen Nachbarn nicht ihre Jungen abspenstig machen dürfen, dann wird das nicht leicht. Aber es ist nötig. Bis 2060 fällt jeder Dritte Erwerbstätige weg. Die geburtenstarken Jahrgänge sind dann in Rente. Ich kenne Rathäuser ärmerer Kommunen, die in den letzten Jahren wenig einstellen konnten und bald vor der Situation stehen, dass in den nächsten Jahren die Hälfte der Mitarbeitenden wegfällt. Wie soll dann etwas funktionieren? In der Pflege, beim Metzger, Floristen, Hausbau, überall ist Bedarf. Wir sind spät dran und wir haben eine starke internationale Konkurrenz. Natürlich gehen inländische Potenziale vor, natürlich muss man alles tun, dass Kinder in unserem Land zur Welt kommen und gut aufwachsen können, das wird aber nicht reichen, um auszugleichen, was seit den 70er Jahren des letzten Jahrtausends nicht geboren wurde. Einwanderung ist Wohlstandsfaktor, für uns alle. Diese Realität in die Köpfe und – wichtiger – in die Herzen zu bekommen, dafür arbeite ich.

Herzliche Grüße,

Ihr/Euer Lars Castellucci

Termine:

  • Samstag, 18. März, 11.00 Uhr: „Wehrhafte Demokratie – gestern und heute“, Podiumsdiskussion, Kleiner Sitzungssaal im Stuttgarter Rathaus, Marktplatz 1.