An Donnerstagen und Freitagen in Sitzungswochen werden von den zuständigen Prälaten oder auch von Mitgliedern des Deutschen Bundestages Morgenandachten gehalten. Am 22. Mai war ich zum zweiten Mal in dieser Legislaturperiode an der Reihe. Sie finden den Text im Wortlaut nachfolgend oder hier als pdf.

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen
Geistes sei allezeit mit Euch. Amen.

Ich starte heute evangelisch und mache dann katholisch weiter und hoffe, es kommt etwas
Ökumenisches dabei heraus.

Der vergangene Sonntag trägt in der evangelischen Kirche einen lateinischen Namen: Exaudi. Das
ist Psalm 27 entnommen: „Exaudi, Domine, vocem meam, qua clamavi ad te.“ „Vernimm, o Herr,
mein lautes Rufen; sei mir gnädig und erhöre mich!“

Es ist das laute Rufen der Flüchtlinge auf den Booten in Südostasien oder dem Mittelmeer.

Es ist das laute Rufen der Passagiere in der Germanwings-Maschine 4U9525, als sie in den
letzten Sekunden den Sinkflug bemerken.

Es ist das laute Rufen der Menschen in Nepal, als die Erde bebt und wieder bebt und wieder.

Der Sonntag Exaudi ist ein Sonntag, an dem Pfarrerinnen und Pfarrer ganz besonders gefordert
sind. Sie kommen kaum um die Frage herum, warum Gott so offensichtlich und oft nicht hört. Wie
kann er das zulassen? Die sogenannte Theodizeefrage.

Die Antworten, die ich kenne, sind mal mehr und und mal weniger rhetorisch geschickt. Pfarrer
mutieren, so könnte man es im Klischee bedienen, zu Politikern, die wir auch immer mal keine
letzte Antwort wissen und dennoch schön darüber reden lernen.

Eine Antwort sagt, wir haben einen freien Willen. Gutes zu tun oder Schlechtes. Gutes zu
unterlassen oder Schlechtes. Bei den Flüchtlingen ist doch der Mensch gefragt.

Aber der Pilot der Germanwings-Maschine – nach dem, was wir wissen, eben extrem krank – hatte
er noch einen freien Willen?

Und was ist mit den Naturkatastrophen? Nicht nur der Friede Gottes übersteigt unseren Verstand.
Das ist der Mensch.

Es bleiben, auch bei mir, Fragen offen.

Aber nicht nur wir haben Fragen, auch Gott hat Fragen. Davon handelt die heutige Lesung. Und
die ist nun der Reihenfolge der katholischen Tradition entnommen:

Aus dem Evangelium nach Johannes, Kapitel 21, die Verse 15-19.

“15 Als sie gegessen hatten, sagte Jesus zu Simon Petrus: Simon, Sohn des Johannes, liebst du
mich mehr als diese? Er antwortete ihm: Ja, Herr, du weißt, dass ich dich liebe. Jesus sagte zu
ihm: Weide meine Lämmer! 16 Zum zweiten Mal fragte er ihn: Simon, Sohn des Johannes, liebst
du mich? Er antwortete ihm: Ja, Herr, du weißt, dass ich dich liebe. Jesus sagte zu ihm: Weide
meine Schafe! 17 Zum dritten Mal fragte er ihn: Simon, Sohn des Johannes, liebst du mich? Da
wurde Petrus traurig, weil Jesus ihn zum dritten Mal gefragt hatte: Hast du mich lieb? Er gab ihm
zu Antwort: Herr, du weißt alles; du weißt, dass ich dich lieb habe. Jesus sagte zu ihm: Weide
meine Schafe! 18 Amen, amen, das sage ich dir: Als du noch jung warst, hast du dich selbst
gegürtet und konntest gehen, wohin du wolltest. Wenn du aber alt geworden bist, wirst du deine
Hände ausstrecken und ein anderer wird dich gürten und dich führen, wohin du nicht willst. 19 Das
sagte Jesus, um anzudeuten, durch welchen Tod er Gott verherrlichen würde. Nach diesen Worten
sagte er zu ihm: Folge mir nach!”

Kennen wir nicht so eine ähnliche Stelle? Einige Kapitel zuvor kündigt Jesus an: Bevor der Hahn
kräht, wirst Du mich drei Mal verleugnen. Dieser Petrus ist für große Aufgaben vorgesehen. Er wird
ganz schön herangenommen. Nicht einmal geprüft, wiederholt geprüft. Nicht einmal gefragt,
dreimal gefragt.

Liebst Du mich?

Sogar: mehr als die anderen?

Warum fragt Gott eigentlich etwas, dreimal, wenn er doch alles weiß?

Warum haben uns unsere Eltern Dinge gefragt, – hast Du Deine Hausaufgaben gemacht, hast Du
Dein Zimmer aufgeräumt, hast Du schon Klavier geübt? – sogar wenn Sie wussten, es macht
keinen Sinn, der macht eh, was er will.

Warum fragen uns manchmal Bürgerinnen und Bürger, obwohl sie keine Antwort erwarten oder
ahnen, dass die Antwort sie nicht zufriedenstellen wird?

Weil sie wenigstens mitteilen wollen, was ihnen wichtig ist. Und wenn etwas besonders wichtig ist,
fragen sie auch drei Mal.

Und dann sind wir dran.

Können tun, können lassen.

Kennen die Situationen, wo beides falsch sein kann.

Schaffen nicht alles.

Sehen, was drängender ist.

Hören die anderen, die etwas ganz anderes wollen.

Und dann, bestenfalls: hören in uns hinein.

Hören: “Weide meine Schafe! Folge mir nach!”

Und feiern am Sonntag, Pfingsten, dass da eine Stimme ist, der Heilige Geist, gesendet um
Orientierung und Kraft zu geben, wo wir die Antwort nicht wissen, wo die Antwort nicht reicht, wo
es viele Antworten gibt.

Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in
Christus Jesus.