In meiner Heimatstadt Wiesloch besteht seit über 100 Jahren eine große psychiatrische Klinik.
Im Stadtbild ist es normal, wenn jemand auch einmal etwas auffälliger ist. Und das führt dazu, dass alle sehr viel mehr sein können, wie sie eben sind. Trotzdem ist die Öffnung von Psychiatrien ein Dauerthema, die Krankheiten müssen raus aus der Tabuzone. Dabei soll uns Alda Merini helfen.
Die italienische Lyrikerin ist einerseits in Italien ein Star und mehrfach preisgekrönte Künstlerin. Zum anderen hatte sie in ihrem Leben mit den Folgen einer psychischen Erkrankung umzugehen, und war durch diese immer wieder herausgefordert, obwohl sie selbst einmal äußerte, dass sie ihr Leben genossen habe. Man findet sie 1994 mit dem, ihrem persönlichen Stil ganz eigenen Satz zitiert: „Für mich war das Leben schön, weil ich es teuer bezahlen musste“.
In ihrer Autobiografie „Die andere Wahrheit“, die ich nun gemeinsam mit Thomas Müller in deutsch herausgebe, blickt sie zurück auf ihren jahrzehntelangen Aufenthalt in der psychiatrischen Anstalt: mit ihrer Erzählung über ihr Leben in der Klinik, zwischen Elektroschocks und Demütigungen auf der einen, aber auch Liebe und Zuwendung auf der anderen Seite, öffnet die Dichterin den Blick auf diese Hölle und packt den Leser wie eine Welle, die zwischen geistiger Klarheit und Zauber wechselt. Dies alles geschieht in einem Reflexionsprozess, der zu Poesie wird, und in den Fragen und Zweifeln, die zu Zeilen werden, welche die Benommenheit, Gewohnheit, Gleichgültigkeit und Angst vor der Welt „dort draußen“ durchbrechen.
Alda Merini ist als italienische Dichterin und Romanautorin in Deutschland erst noch zu entdecken. Hierzu möchte ich beitragen. Zur Frankfurter Buchmesse haben wir nun ihre Autobiografie herausgebracht. Wer ein Exemplar erwerben möchte, kann das z.B. beim Verlag Psychiatrie und Geschichte.
In nächster Zeit wollen wir im ganzen Bundesgebiet für ein gutes Zusammenleben werben, auch der mehr oder weniger Gesunden mit den mehr oder weniger Kranken, und dafür, dass man niemanden nur auf eine Krankheit reduziert.