Liebe Genossinnen und Genossen,
liebe Freundinnen und Freunde,
der Angriff Russlands auf die Ukraine folgt Großmachtphantasien, von denen viele gehofft haben, dass wir sie mit dem letzten Jahrtausend hinter uns lassen konnten zugunsten einer Welt, in der man gelernt hat, dass die großen Menschheitsthemen nur in Kooperation zu bewältigen sind, allen voran, den Frieden zu sichern.
Moldawien, Georgien, die Krim waren ein Vorgeschmack, der jetzige Angriff ist dagegen beispiellos in seiner brutalen Infragestellung eines souveränen Landes, dem Zynismus der Propaganda, der Skrupellosigkeit des Vorgehens trotz aller Vermittlungsversuche der vergangenen Wochen.
Auf dieses beispiellose Vorgehen müssen wir beispiellos reagieren. In den letzten Stunden sind eng abgestimmt mit unseren Partnern weitreichende Entscheidungen getroffen worden, die meine volle Unterstützung haben, darunter der gezielte Ausschluss von Banken aus dem internationalen Zahlungsverkehr (Swift), das Einfrieren von Vermögenswerten, ein Stopp von Überflugrechten. Es ist eine Ausnahmesituation eingetreten nur wenige Wochen nach Amtsantritt unserer neuen Regierung. Mein Respekt und Dank für das, was hier geleistet wird.
Wir müssen aufpassen, dass eine zu lasche Gegenreaktion nicht andere Staaten motiviert, historische Landkarten hervorzukramen und Grenzen verschieben zu wollen, allen voran China mit Blick auf Taiwan. Ich bin der Auffassung, dass man sich von einem Aggressor wie Putin nicht abhängig machen darf. Stellen wir uns vor, Putin würde von sich aus Öl und Gas verweigern, was wäre unsere Reaktion? Darauf müssten wir ebenfalls vorbereitet sein. „Mit einem Kriegstreiber wie Putin macht man keine Geschäfte“, schreibt sehr zu recht unser Vorsitzender Lars Klingbeil mit Blick auf unseren Altkanzler. Das gleiche gilt aus meiner Sicht für uns alle. Ich bin dafür, die Handelsbeziehungen komplett auszusetzen.
Putin hat das Land außerhalb der zivilisierten Welt gestellt. So muss es nun auch behandelt werden. Wenn der Kohlenhändler mein Haus anzündet, werde ich doch wohl nicht mehr bei ihm einkaufen. Putin und sein Umfeld gezielt wirtschaftlich zu treffen, halte ich für zu kurz gegriffen, weil diese Leute in die Geschichtsbücher eingehen wollen, wirtschaftliche Motive sind hier Nebensache. Das ganze Land muss spüren, dass diese Machthaber die Menschen in die Irre führen und Atombomben niemanden satt machen. Das gilt auch für Staaten wie Belarus, die Russland unterstützen.
Die Weltordnung, falls man sie so nennen möchte, ist komplett in Frage gestellt. Heute konzentrieren wir uns auf die unmittelbare Lage in Europa. Doch der Blick muss weitergehen. Die Vereinten Nationen sind in einer Sackgasse. Handel bringt nicht automatisch Wandel und nicht einmal Sicherheit. Vielleicht die Chance: ein engerer Schulterschluss derjenigen, die sich Demokratie, Freiheit, Menschenrechten und nachhaltiger Entwicklung verpflichtet fühlen. Ich bin überzeugt, dass dieses Modell am Ende gewinnt und die größte Anziehungskraft für andere Länder besitzen wird. Wer sich mit uns auf den Weg machen will, für den sollten wir offen sein, das beginnt unmittelbar vor der Haustüre bei den Ländern des westlichen Balkans.
Das bedeutet auch, dass wir diese Modell verteidigen können müssen. Die Militärausgaben der USA alleine übertreffen diejenigen Russlands allerdings um das Zehnfache (Chinas um das Dreifache), auch Deutschland und Frankreich zusammen geben mehr aus. Das sind die Fakten. Mehr Geld ist nicht die Antwort, sondern tatsächliche Einsatzfähigkeit, Wehrfähigkeit im Bündnis, auch eigenständiger in Europa. Rolf Mützenich äußert sich dazu klar, klug und besonnen. Dafür bin ich ihm dankbar.
Mit großer Kraft trete ich seit vielen Jahren für eine sehr restriktive Exportpolitik von Rüstungsgütern ein. Ich will sie letztlich auf einen Handel innerhalb von Bündnisstrukturen begrenzt sehen, was zu dem Ausblick passt, den ich oben angedeutet habe. Diplomatie muss immer den Vorrang haben. Wo sie, so schmerzlich es ist, versagt, kann man Menschen das Recht zur Selbstverteidigung nicht verwehren. Die Waffenlieferungen Deutschlands haben meine Unterstützung.
Selbstverständlich werden wir an humanitärer Hilfe zu leisten haben, was wir vermögen. In der Innenpolitik stellen wir unter Federführung unserer Innenministerin Nancy Faeser sicher, dass die Kapazitäten für Unterkünfte hochgefahren werden, um auf bevorstehende Fluchtbewegungen vorbereitet zu sein.
Meine Gedanken sind bei den Menschen in der Ukraine und allen unglaublich Mutigen, die in Russland gegen den Krieg auf die Straße gehen.
Ihr/Euer
Lars Castellucci
PS: Die heutige Regierungserklärung von Bundeskanzler Olaf Scholz kann auch – ebenso wie die anderen Redebeiträge der Debatte – hier im Video angesehen werden: https://dbtg.tv/cvid/7534034.
PPS: Ich lade gemeinsam mit dem SPD-Kreisverband Rhein-Neckar ein zu einer digitalen Veranstaltung “Angriff auf die Ukraine – wie reagiert Deutschland?” mit dem Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses, Michael Roth, am kommenden Donnerstag, dem 3. März um 19 Uhr. Eine Teilnahme ist unter diesem Link möglich: https://us06web.zoom.us/j/86812767632?pwd=TXBVbmdzc3ZCenlYekxGWk01dndRQT09.