Liebe Genossinnen und Genossen,
liebe Freundinnen und Freunde,
„Gut gemacht“, hat mir Guntram Zimmermann nach dem Grußwort beim Sozialpolitischen Tag des VDK in der vollbesetzten Mannaberghalle in Rauenberg letzten Samstag geschrieben. Ich habe mich bedankt und geantwortet, dass ich tatsächlich seit ein paar Monaten etwas verändert habe. Ich hätte mich an die Länge für ein Grußwort von maximal 5 Minuten gehalten. Ich hätte, wie immer, versucht, die Menschen auch einmal kurz zum Lachen zu bringen. Ihnen für ihr Engagement zu danken, noch etwas zu berichten, was wir gerade in Berlin umsetzen. Insgesamt, so hätte es mein Vater genannt, „bella figura“ zu machen.
Schluss damit. Es ist zu ernst. Die Lage, die Stimmung. Wir müssen reden. Wo erwische ich schon einmal mehrere hundert Menschen aus der Mitte des Wahlkreises. Und dann versuchen, was auch Aufgabe von Politik ist: Probleme zu sehen, anzusprechen, zu erklären, aber doch vor allem zu ermutigen. Jede Zeit hat ihre Herausforderungen. Warum sollten wir unsere nicht meistern? Nur mit schlechter Laune, Nostalgie und gegenseitigen Verdächtigungen wird es nicht gehen. Sondern zusammen – gemeinsam können wir viel erreichen.
Deshalb dokumentiere ich außer der Reihe in den heutigen Berliner Zeilen die Rauenberger Rede. Und freue mich über Rückmeldungen und alle, die in ihrem Umfeld mithelfen, endlich umzuschalten. Sie schauen auch schon keine Nachrichten mehr? Prima, das wird helfen! Meine Bitte: Politik alleine kann es nicht schaffen, dafür sind wir zu wenige. Dafür sind die Kommunikationsmittel zu vielfältig geworden. Aber auch hier: wenn viele mithelfen, widersprechen, wo man widersprechen muss, aber erstmal zuhören, wo lange niemand zugehört hat, am Ende mit anpacken an den gemeinsamen Aufgaben. #wirdgut
Sehr geehrte Damen und Herren,
ich bin begrüßt worden in meiner neuen Funktion als Beauftragter für Menschenrechte und humanitäre Hilfe der Bundesregierung. Und in dieser Funktion bin ich sehr viel in Katastrophengebieten unterwegs, wo kein Stein mehr auf dem anderen steht, wo es den Menschen wirklich am nötigsten fehlt. Und wenn ich dann aber zurück nach Deutschland komme, dann habe ich das Gefühl, selbst auf den Festen jetzt im Sommer, hier wäre das Katastrophengebiet. Und deswegen müssen wir reden.
Warum wächst der VdK? Weil die Verunsicherung groß ist. Und alle, die Verunsicherung haben, haben recht. Denn es ist gerade viel los. Wir leben in einer Zeit, in der wir noch nicht ganz genau wissen: Schaffen wir das eigentlich, diesen Klimawandel aufzuhalten, der übrigens bei uns ja die Unwetter verursacht und bei uns dazu führt, dass das Leben sich verändern wird und nicht nur irgendwo, wo Inseln untergehen? Schaffen wir es noch, das aufzuhalten und so zu verändern in der Wirtschaft und in unserem Leben, dass wir das aufhalten können und dass wir vor allem unseren Wohlstand dabei behalten?
Vielleicht haben Sie es gesehen, vielleicht sogar live verfolgt, wie der Präsident von Amerika den Präsidenten der Ukraine im Fernsehen zusammengefalten hat. Und wie plötzlich deutlich wird, wie sich die Stärkeren das Recht einfach nehmen und nicht das Recht die Stärke besitzt, für gute Ordnung zu sorgen. Da ist die globale Ordnung wirklich ins Wanken geraten. Nicht, dass es früher nicht auch schon Deals gegeben hätte – die hat es immer schon gegeben – aber dass es auf offener Bühne zur Politik und zur Leitlinie der Politik gemacht wird, das ist wirklich neu.
Und dann schauen wir in unser Land, wo gefühlt alles ein bisschen auseinanderläuft. Die Polarisierung zunimmt und wir absurde Debatten führen angesichts dessen, was unsere Aufgaben eigentlich sind. Und dabei sind wir als Deutschland ins Schwanken geraten, denn ja, die billige Energie aus Russland ist weg und die billige Sicherheit aus Amerika ist weg und die einfachen Zugänge zu den Märkten nach China sind weg. Das heißt, unser Geschäftsmodell ist nicht mehr vorhanden. Haben wir jetzt Grund, verunsichert zu sein? Wir haben Grund, verunsichert zu sein. Wer verunsichert ist, hat Recht. Aber wer nicht Recht hat, das ist derjenige, der sagt, wir können daran nichts verändern.
Meine Mutter ist 1937 geboren. Und sie erzählt mir noch, dass die Flieger tief geflogen sind und sie sich in der elterlichen Gärtnerei gegenüber vom Friedhof in Wiesloch zwischen die Erdhügel geworfen hat, damit sie sich einigermaßen in Sicherheit bringen kann. Wir haben große Herausforderungen, aber das hatte doch Ihre Generation, egal in welcher Sie gerade hier sitzen, genauso. Und hier hinein werden dann immer wieder die gleichen Debatten geführt: Wir könnten uns das alles nicht mehr leisten. Aber das sind doch Sätze, die – ewig grüßt das Murmeltier – wir alle schonmal gehört haben.
Ihre Vorsitzende Verena Bentele hat gesagt, wir sollten uns um die Fakten kümmern. Und wenn wir die Fakten anschauen, dann sehen wir: für den Sozialstaat wird in diesem Jahr gemessen an der Wirtschaftsleistung überhaupt nicht mehr ausgegeben. Es ist nicht so, dass wir da einfach alles verprassen und dass wir uns das nicht mehr leisten könnten. Sondern Leute, die ein Interesse daran haben, nutzen die Verunsicherung und machen den Sozialstaat klein. Und dagegen müssen wir uns verwehren. Und wir müssen aufpassen, dass wir nicht auf die Schleimspur geraten von denen, die dann wieder nur die Schuldigen suchen. Oder wieder sagen, da ist jemand zu teuer. Inklusion ist etwas, womit man nie zu Ende ist. Das mag sein. Aber für Inklusion muss man konsequent und kontinuierlich arbeiten.
Wir haben große Herausforderungen. Aber wir dürfen Zukunft nicht als etwas empfinden, was uns auferlegt ist. Was über uns hereinbricht. Sondern wir müssen wieder dahinkommen, zu merken, dass wir gestalten können, was an Zukunft vor uns liegt. Wir können anpacken, in jeder Generation neu. Meine Behauptung ist, jede Generation hat ihre Herausforderungen. Und es gibt ein paar Sachen, die sind gut und ein paar Sachen, die sind schlecht. Und meistens ist es irgendwo in der Mitte: Natürlich kriegt man nicht überall schnell einen Termin beim Arzt, aber wenn man ausgewandert ist – irgendwohin, wo es warm ist – kommt man trotzdem wegen der Hüftoperation wieder nach Deutschland. Das müssen wir auch mal sehen. Und vor allem dürfen wir nicht eintreten in den Chor, der am Ende dazu führt, dass der Sozialstaat ins Wanken gerät, denn er ist eine Errungenschaft. Es ist genau so, wie Helmut Schmidt es gesagt hat: Wir müssen den Sozialstaat bewahren. Das geht nur, wenn alle mitanpacken. Christiane Hütt-Berger hat hier die MundWerkStatt angesprochen, in meinem Wahlkreis gibt es auch das Generationenprojekt in Neidenstein oder den Verein Lichtblick in Nußloch: Es sind so viele unterwegs, die sagen, so wie es ist, können wir es nicht lassen. Wir müssen was verbessern.
Wenn wir den Meinungsumfragen zuhören, dann sind immer wieder die Migranten das Thema. Entschuldigung, aber ohne Migrantinnen und Migranten können wir nichts Soziales gestalten in Zukunft. Wir müssen das alles politisch viel besser machen. Aber wir dürfen nicht sagen, die seien schuld. Es treibt das Land auseinander. Wir haben Gemeinschaftsaufgaben. Und wenn wir gemeinsam anfangen, können wir uns doch zum Beispiel vorstellen: in Rauenberg, in Dielheim, in Wiesloch, da soll niemand einsam sein? Viele Menschen sind einsam. Zunehmend. Und jetzt kommt das Verrückte: die Jüngeren mehr als die Alten. Wie kann denn das sein? Können wir das nicht schaffen, und zwar als Menschen untereinander? Dass jeder Mensch zum Beispiel in Rauenberg, der gerne Besuch hätte, Besuch kriegt einmal im Jahr. Und dass das nicht nur eine Gruppe von 85-Jährigen in der Kirchengemeinde macht, wie meine Mutter in Wiesloch, sondern dass wir sagen, wir kommen zusammen und überlegen, wie wir das hinkriegen. Und ich glaube, dann haben wir die Welt in Rauenberg schon mal ein Stückchen besser gemacht.
Und das ist, glaube ich, unsere Aufgabe: Ziele setzen. Ein Land, in dem wir gerne alt werden. Können wir uns das bitte vorstellen? Denn wenn wir sagen, es wird alles nur schlechter – und wir tun dann auch nichts dafür, dass es besser wird, dann wird es auch schlechter. Das ist doch logisch. Wir müssen das umdrehen und sagen: Eine bessere Welt ist möglich. Dann gibt es immer noch den Putin und steigende Kosten. Aber von Mensch zu Mensch haben wir uns geholfen, waren solidarisch, haben aufeinander geachtet. Und das macht auch unser Leben viel lebenswerter. Und dann können wir auch vieles aushalten von dem, was über uns hereinbricht, was in der Welt da ist und was wir politisch auch nicht alles morgen gelöst haben werden.
Mit anderen Worten, liebe Freundinnen und Freunde: Ein gutes Land ist möglich, wenn wir uns gemeinsam dafür engagieren. Und hier steht: gemeinsam sind wir stark, Deutschlands größter Sozialverband. Und ich nehme einfach mal Ihr Logo: Gemeinsam sind wir stark.
Herzliche Grüße
Ihr/Euer Lars Castellucci
Termine
- Samstag, 15. November 2025: Landesparteitag der SPD-Baden-Württemberg, Donauhalle, Ulm
- Montag, 17. November 2025: Herbstkonferenz des Dachverbands Entwicklungspolitik Baden-Württemberg e.V., Stuttgart
- Mittwoch, 19. November 2025: Forum Menschenrechte, Berlin
- Donnerstag, 20. November 2025, 19.30 Uhr: Lesung „Was ist nur los im Osten?“ mit Dr. Christoph Lorke, Bücher Dörner, Hauptstraße 84, Wiesloch (Um Anmeldung unter lars.castellucci.wk@bundestag.de oder 0170 1776584 wird gebeten.)
- Freitag, 21. November 2025, 15.00 Uhr: „Werkstatt der Mutigen“, Lichtblick e.V., Hauptstraße 99, Nußloch (Um Anmeldung unter http://tiny.cc/Werkstattdermutigen wird gebeten.)

