Liebe Genossinnen und Genossen,

liebe Freundinnen und Freunde,

am Dienstag hat sich der neue Bundestag konstituiert. Es gab eine enttäuschende Rede von Gregor Gysi, eine weniger enttäuschende Rede von Julia Klöckner (denn von ihr hatte ich nichts erwartet) und die üblichen drei Wahlgänge, in denen ein Kandidat der AfD erfolglos versuchte, Vizepräsident zu werden. Dreimal war ich schon dabei gewesen bei diesem Anlass und jedes Mal war ich doch eher angefüllt gewesen von dem, was mich erwarten würde, der besonderen Ehre und Verpflichtung, einer von – jetzt – 630 Abgeordneten zu sein, die versuchen, unser Land nach vorne zu bringen, beim Singen der Nationalhymne. Dieses Mal war die Stimmung, gelinde gesagt, gedämpft. Ob der großen Herausforderungen, die vor uns liegen, und der geringeren Möglichkeiten, die uns das Wahlergebnis bietet. Wir sitzen nun eingezwängt zwischen einer erstarkten Linken und einer erstarkten CDU, gegenüber der mächtige Block der AfD, die mit 150 Sitzen deutlich an uns vorbeigezogen ist.

Gleich in der ersten Sitzung hat sie das volle Programm aufgefahren, den Bundestag und seine Verfahren zu delegitimieren. Natürlich kann sie sich dagegen wehren, wenn ihr verwehrt wird, dass ihr Ehrenvorsitzender Gauland die Eröffnungsrede hält oder eben eine Beteiligung im Präsidium. Sie aber respektiert die demokratischen Entscheidungen nicht. Für sie sind Entscheidungen nur legitim, wenn sie ihren Auffassungen entsprechen. Darin offenbaren sich die Anti-Demokraten.

Es wird entscheidend sein, dass sich in der kommenden Zeit nicht immer nur alles um diese zwanzig Prozent dreht, denn immerhin stehen ihnen achtzig gegenüber, die sie nicht gewählt haben. Aber über unsere Strategie müssen wir (neu) nachdenken. Ich hoffe sehr, dass das geschieht. Aktuell scheinen mir die einen schon wieder fleißig zu sein, um Verhandlungserfolge zu erzielen und wieder loszulegen, und die anderen müde. Das wird nicht reichen.

Ich habe bereits kurz nach der Wahl im Vorwärts ein paar Gedanken aufgeschrieben. Die heutigen Zeilen will ich auch dazu nutzen, Euch an einer weiteren Überlegung teilhaben zu lassen.

Die SPD hat im zurückliegenden Wahlkampf mit dem Slogan geworben “Mehr für Dich”. Und das ist ja richtig: so viele verdienen mehr. Die hart arbeiten, auch in Berufen, die wenig Wertschätzung haben. Die lange gearbeitet haben und trotzdem keine großen Sprünge machen können. Die nie so recht auf die Füße kamen, was auch immer schief gegangen ist. Vieles ist ungerecht, bei uns im Land, in der Welt gar nicht zu denken. Vieles funktioniert nicht so, wie es sollte. Es braucht mehr – was? – Geld, Anstrengung, wohl von uns allen, vor allem mehr Miteinander, denn gemeinsam kann man viel erreichen.

Aber: dieses Versprechen auf “mehr” hat nicht verfangen. Ich denke, weil es nicht überzeugend war, in einer Welt, die derart im Umbruch ist, einfach “mehr” zu versprechen. Viele hatten den Eindruck, man schenkt ihnen keinen reinen Wein ein. Und die wurden nach der Wahl ja auch gleich von Herrn Merz bestätigt. Wundert es jemanden, dass die Umfragewerte weiter sinken?

Ich habe dieser Tage noch einmal bei dem amerikanischen Politikwissenschaftler Francis Fukuyama nachgelesen. Ich stimme mit vielem nicht überein, was er schreibt. Aber eine These will ich mit Ihnen und Euch teilen:

Er sagt, hinter vielen Forderungen nach “mehr” steckt im Kern der Wunsch nach Anerkennung: “Ein großer Teil dessen, was als wirtschaftliche Motivation gilt, ist (…) in Wirklichkeit in dem Verlangen nach Anerkennung verwurzelt und kann deshalb nicht einfach mit wirtschaftlichen Mitteln befriedigt werden” (Identität, S.16). Und wenn, dann will man “mehr”, weil es einem zusteht, nicht weil es einem jemand gönnt. Ich glaube, hier ist ein Punkt, über den es sich für die SPD lohnt, nachzudenken. Die einen mobilisieren die “Landsleute” als “Deutsche” im Kampf gegen alle, die sie angeblich um ihre Rechte und Errungenschaften bringen. Und wir versprechen noch einmal ein paar Euro mehr, wenn man sich aufs Amt begibt und lange Anträge ausfüllt, sofern man überhaupt etwas davon mitbekommt. So leid es mir tut: Die anderen machen die Menschen groß, wir machen sie klein. So richtig und notwendig die vielen, kleinen Verbesserungen im sozialen Bereich sind. So wenig selbstverständlich, dass es sie überhaupt gibt. Gegen die Emotion, die sich mit Nationalismus verbinden lassen (oder in anderen Teilen der Welt mit Religion), kommen wir so nicht an.

Ich freue mich auf den Austausch bei Wahlnachlesen und anderen Gelegenheiten.

Freundliche Grüße

Ihr/Euer Lars Castellucci

 

Termine

  • Sonntag, 30. März, 10:45 Uhr: Gottesdienst mit Abendmahl zum Sonntag Lätare (ich halte die Predigt) und anschließendem Kirchencafé, Evangelische Stadtkirche, Hauptstraße 22, Neckarbischofsheim
  • Dienstag, 1. April, 19:00 Uhr: Verpflichtung von Bürgermeister Stefan Schmutz, Domhofsaal, Hauptstraße 9, Ladenburg
  • Donnerstag, 3. April: Girls‘ & Boys‘ Day
  • Freitag, 4. April, 15:00 Uhr: Eröffnung des Frühlingsfests der Volkshochschule Südliche Bergstraße e.V., Gerbersruhschule, Gerbersruhstr. 18, Wiesloch
  • Freitag, 4. April, 18:00 Uhr: Nominierungskonferenz im Landtagswahlkreis Sinsheim, Antoniushof, Hauptstraße 77, Wiesenbach